Von George Anglade
Ein Fortsetzungsroman aus haitianischen lodyans (Fragment)
„Joachim von Ribbentrop musste die Stirn runzeln, damit sein Monokel nicht herunterfiel und so seine Überraschung verriet, als Catinat Fouchard, der haitianische bevollmächtigte Minister in Berlin, am Dienstag, dem 9. Dezember 1941 in sein Büro kam, um ihm – vor allen anderen betroffenen Nationen der Welt – nur zwei Tage nach Pearl Harbour die erste Kriegserklärung an die Achsenmächte mitzuteilen: die Haitis.“
Der Karikaturist, der die Begegnung in einer Port-au-Princer Tageszeitung illustriert und der Journalist, der sie geschildert hatte, waren nicht zimperlich vorgegangen, denn der kurz zuvor mit seinem „von“ geadelte Ribbentrop war immerhin nicht so weit gegangen, ein Monokel zu tragen, und hatte er, obwohl er bei jeder Gelegenheit fließend Französisch sprach, den haitianischen Abgesandten schon am 9. Dezember persönlich empfangen? Aber all das waren Details … und kein Grund, warum der so lang erwartete Artikel nicht am nächsten Tag, am Mittwoch, dem 10. Dezember 1941, in Port-au-Prince erscheinen sollte. Es reichte aus, dass es sich, mitsamt dem Monokel, so hätte zutragen können.
Fouchard war Diplomat in Berlin, ein Champagnerkenner wie Ribbentrop selbst. Letzterer war eine Referenz auf dem Gebiet, sein Ruf als Vertreter der Marke Henkell hatte auf dem haitianischen Markt stärker eingeschlagen als sein Pakt mit Molotow. Vom Schreibpult in Port-au-Prince aus erschien ausreichend sicher, dass der haitianische Konsularbeamte, der insbesondere die Sektimporte genehmigte, und der deutsche Sektexporteur mit ein paar Blasen aus einer Ladung aufeinander angestoßen haben mussten oder auf diese Weise miteinander hätten anstoßen können. Es war plausibel, dass die einander kennenden Kenner sich an diesem Tag begegnet waren. Der Rest des Artikels verstand sich von selbst, denn die Erklärung musste schließlich Ribbentrop überbracht worden sein … und war damit von Fouchard überbracht worden. Punkt. Sollte, wenn es sich jemals anders zugetragen hatte, doch später die Geschichte zusehen, wie sie mit dergleichen Einzelheiten klarkam; den nach Kriegsbulletins, insbesondere nach diesem hier, gierenden Lesern war’s wurscht.
Damals, Ende 1941, war eine solche Zeit der Propaganda, dass es letztlich nur darauf ankam, wie wahrscheinlich eine Erzählung war. Alle Medien schmückten daher die entstehenden Geschichten aus, um sie authentisch klingen zu lassen. Diejenigen, die lange danach über die Kunst nachgrübeln, der Wahrheit halber dichtend zu lügen, die sich fragen, wie man wahrhaftig lügt, und die sich dabei für Erfinder halten, haben keine Ahnung, was es bedeutete, mit behelfsmäßigen Mitteln darüber zu berichten, was in diesem Dezember 1941, als alle Alliierten in den Krieg eintraten, hinter verschlossenen Türen vor sich ging. Die Geschichtsausschmücker, die ungleich raffinierter vorgingen als gewöhnliche Lügner, hatten leichtes Spiel. Deswegen habe ich vermutlich auch noch keine Unterlagen gefunden, die belegen, dass es seither in Haiti gerüchteweise immer geheißen hat, Joseph Goebbels – der Mister Propaganda in Deutschland bekam es so mit eigener Münze heimgezahlt – sei praktisch Haitianer, denn sein damals im Land ansässiger Vater Fritz habe ihn dort gezeugt. Anderen zufolge war er vielmehr in Haiti getauft worden, was, wie Sie zugeben werden, dereinst besser zu belegen sein wird als die erste Behauptung.
Dem jus soli oder jus sanguinis der verschiedenen, in Fragen der Staatsbürgerschaft zu restriktiven Gesetzgebungen war also in Haiti ein Dr. Goebbels großzügig einschließendes jus conceptia hinzugefügt worden. Besagter Goebbels wusste tatsächlich hervorragend über die geringfügigsten Vorgänge und Gerüchte in der deutschen Gemeinde in Haiti Bescheid, hatte sich jedoch nie offen und öffentlich zu den ihn betreffenden bekannt. Im Privaten, so hieß es dagegen, verhielt es sich anders.
Diese separate Kriegserklärung Anfang Dezember 1941 – die strenggenommen niemals Gegenstand eines separaten Friedensschlusses war und daher technisch gesehen noch heute gültig, wenn auch niemandem bekannt ist – hatte eben einen unmittelbaren Vorläufer, nämlich eine erste Kriegserklärung Haitis am 7. Juni 1918, die letzte eines alliierten Landes, vier Monate vor dem Waffenstillstand vom 11. November, was, um es weiter zurückhaltend auszudrücken, als verspätet gelten kann. Und so hatte Haiti sich diesmal, angetrieben von einem am 15. April desselben Jahres frisch gewählten Präsidenten, an die Spitze der Liste gesetzt. Ribbentrop hatte daher allen Grund, „in den zusammengekniffenen Mundwinkeln“, so der Kriegsberichterstatter, ein überraschtes Lächeln anzudeuten, als dieses Land so tapfer der gegenseitigen Kriegserklärung der Vereinigten Staaten und Deutschlands zuvorkam, die erst zwei Tage später, am 11. Dezember, ergehen sollte. In der von deutschen U-Booten verseuchten Karibik war das nicht ohne Risiko, sie hätten in Port-au-Prince eine Granate auf die Schnauze kriegen können.
Aus dem Französischen übersetzt von Peter Trier
Georges Anglade, geboren 1944, aufgewachsen in der haitianischen Provinz, war als Geograph Autor mehrer Standardwerke über Haiti und führendes Mitglied der Demokratiebewegung seines Landes, deren Manifest er verfasste.Ein scharfzüngiger aber nie zynischer politischer Satiriker, der den meisten seiner Kollegen zwei Erfahrungen voraus hat: das Gefängnis (unter Duvalier) und ein Ministeramt (unter Aristide). Den haitianischen Lesern war er auch als Kolumnist der Zeitung Le Nouvelliste bekannt. Als Literat pflegte er das Genre der lodyans, das er als die typisch haitianische Literaturgattung wiederentdeckt und wiederbelebt hat. Georges Anglade starb am 12. Januar 2010 bei dem Erdbeben in Haiti.